Wenn ich schreibe, lenkt (um mich herum gesprochene) Sprache mich ab. Zu behaupten, ich säße täglich von 8:00 bis 17:00 Uhr in einem Großraumbüro wäre wohl übertrieben, dennoch sitze ich nicht alleine in meinem Zimmer, was manchmal dazu führt, dass ich das Formulieren längerer Texte (ja, das mache ich in der Tat auch hauptberuflich) unterbrechen muss, wenn mehrere Kollegen sich in meiner näheren Umgebung deutlich hörbar miteinander unterhalten. Mit Musik ist das anders.

Musik geht immer. Der Konsum von Musik steigert, wenn sie nicht zu laut ist, sogar noch meine Konzentration – egal womit genau ich mich gerade beschäftige. Beim Retouchieren von Bildern oder beim Coden von Websites macht es keinen großen Unterschied, aber Aufgaben wie das Schreiben dieses Beitrags, sind für mich mit gesprochener Sprache inkompatibel.

Vielleicht höre ich aus diesem Grund so selten Hörbücher und möglicherweise ist das auch die Ursache dafür, dass wir erst das Jahr 2019 erreichen mussten, bevor ich mir meinen ersten Podcast zu Gemüte führe – womit wir beim Thema wären.

Ich stolperte neulich auf Alex Olma’s iPhoneBlog über Gimlet Media und drei seiner dort produzierten Lieblings-Podcasts. Ich kann gar nicht genau sagen, was mich in exakt diesem Moment dazu bewogen hat, Apples Podcast App auf meinem iPhone zu installieren und in alle drei Angebote mal kurz reinzuhören… Aber an einem bin ich unmittelbar drei Folgen lang hängen geblieben: Heavyweight. Das Header-Bild dieses Beitrags sollte das eigentlich schon vorweg genommen haben.

There’s no better way to make everyone on your morning commute think you’re absolutely insane than to listen to Heavyweight from Gimlet Media in your earbuds.

5 Questions With: Jonathan Goldstein of Gimlet’s “Heavyweight”

Heavyweight (zu deutsch: Schwergewicht) erscheint, manchmal wöchentlich, manchmal in etwas größeren Abständen, aber konstant immer an einem Donnerstag und ist unter anderem via Apple Podcasts und Spotify genießbar. Der Podcast ist das Werk von Jonathan Goldstein. Der ist kein unbeschriebenes Blatt: 1969 in New York (USA) geboren, aufgewachsen in Montreal (Kanada), hat „kreatives Schreiben“ studiert, danach erstmal 10 Jahre im Telemarketing gearbeitet und ging schließlich zum Radio. Er wirkte dort bei einigen Sendungen mit, bis es ihn schließlich nach New York und zu Ira Glass mit This American Life verschlug. Im Jahr 2004 bekam er dann, beim kanadischen Sender CBC Radio One, mit der Show WireTap sein erstes eigenes Format, dem er bis zu dessen Ende 2015 treu blieb. Seit 2016 arbeitet Goldstein nun bei Gimlet Media (und damit auch für seinen alten This American Life Kollegen Alex Blumberg) an seinem Podcast – und der ist wahrlich etwas besonderes.

Die Beschreibung, die man auf der Gimlet Homepage findet lautet schlicht: „Jonathan Goldstein goes back to the moment everything changed“. Schwer zu deuten. Aber in der Praxis bedeutet das, er nimmt sich einen bestimmten Punkt in der Geschichte einer mehr oder weniger beliebigen Person vor, den diese aus verschiedenen Gründen nicht vergessen kann oder nie richtig verarbeitet hat und beginnt dann einfach zu graben. Hochmotiviert und scheinbar völlig wahllos. Er telefoniert mit den Betroffenen und anderen Menschen aus deren Umfeld und recherchiert allerlei Fakten, die einem beim Zuhören oft total bedeutungslos erscheinen. Schließlich garniert er noch alles mit ironischen Kommentaren und seinen eigenen – zumeist recht verworren wirkenden – Gedanken zum Geschehen. Freilich entbehrt das alles nicht einem hohen Maß an Komik und so hat man im Verlauf einer Sendung definitiv mehr als nur einen „WTF“-Moment und jede Menge Spaß.

Bild: Jonathan Goldstein im Studio, TuneIn

Der eigentliche Clou an Heavyweight ist aber das Ende der Sendung, wenn aus dem ganzen Unsinn, den Goldstein im Laufe der Folge verzapft hat, plötzlich und unvermittelt ein roter Faden ans Licht dringt, den er dann mit ruhiger Stimme, wenigen Worten, dem gebotenen Ernst und ganz viel Gefühl in eine brauchbare Lebensweisheit verwandelt. Etwas Gänsehaut und feuchte Augen sind dabei durchaus gewollt (und auch für gestandene Kerle kein Grund sich zu schämen).

Die Faszination, die sich daraus ergibt, ist schwer in Worte zu fassen. Man muss sich eine der Folgen einfach mal selbst angehört haben, um wirklich zu begreifen, wie genial dieses Konzept eigentlich ist. Und eines ist ganz klar: Die nächste Folge hört man sich (schon von Anfang an) mit der großen Frage im Hinterkopf an, auf welche Auflösung Goldstein wohl diesmal langsam – und in der Regel völlig undurchschaubar – hinarbeitet. So bleibt jede Folge bis zu ihrem Ende unterhaltsam.

Spotify Announces Strategic Acquisitions to

Accelerate Growth in Podcasting

investors.spotify.com

Auf den Punkt gebracht: Heavyweight ist schlicht großartig. Dieser – nicht so geheime – Geheimtipp hat allerdings zwei kleine Haken: Erstens muss man der englischen Sprache mächtig sein. Fließend Englisch sprechen können muss man nicht, aber „fließend verstehen“ muss drin sein. (Für die meisten „Digital Natives“ sollte das aber heutzutage aber keine Hürde darstellen und ich erwähne das überhaupt nur für den Fall, dass jemand überlesen hat, dass der Podcast in den USA produziert wird.) Der zweite Haken ist noch keiner, könnte sich im Laufe des Jahres aber zu einem entwickeln. Seit Mitte dieser Woche weiß man, dass Spotify an dem Kauf von Gimlet Media interessiert ist. Das Ziel der Schweden ist es, analog zu Netflix, in Zukunft eigenen Content zu produzieren, mit dem man sich von den Mitbewerbern abheben kann. Bislang sind die Podcasts von Gimlet kostenfrei zu konsumieren und dafür mit ein wenig Werbung versehen. In Zukunft könnten diese Inhalte allerdings an ein Spotify-Abo geknüpft sein, ob an die kostenfreie oder bezahlte Variante bleibt abzuwarten.

Wie auch immer es für Gimlet mit der Akquisition durch Spotify in Zukunft ausgeht, in jedem Fall ist Heavyweight einen Versuch und Eure Zeit wert. Gleiches scheint übrigens auch für die anderen Gimlet Produktionen zu gelten. Give’em a try.


Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


Hinweis: Die in diesem Artikel verwendeten Grafiken, Bilder und/oder Videos dienen lediglich der Illustration und sind geistiges Eigentum von Gimlet Media und/oder TuneIn.