Warnung: Die folgenden Zeilen enthalten massiven Spoiler, beschreiben allerdings nur eine von mehreren Möglichkeiten, nach denen die gewählte Szene ablaufen kann. Der Schaden für Euch dürfte sich also dennoch in Grenzen halten. Zudem ist es wohl die beste Möglichkeit, um Euch zu vermitteln wie man sich beim Spielen dieses Titels fühlt und warum er wirklich so gut ist, wie alle behaupten.

Der Name meines Spielercharakters ist Kara. So hieß es jedenfalls, als ich vor ein paar Minuten das erste Mal in ihre Rolle schlüpfte. Sie erhielt ihn von der kleinen Alice, einem stillen und etwas verängstigt wirkenden Mädchen und Tochter von Todd, einem arbeitslosen Taxifahrer und Hilfsarbeiter, drogen- und alkoholabhängig, cholerisch, gewaltbereit und Karas Eigentümer. Moment mal?! Was!? Wie geht das denn? Ganz einfach: Kara ist ein Androide und nach geltendem amerikanischen Recht des Jahres 2038, damit nicht mehr als ein handelsüblicher Haushaltsgegenstand.

„Ich“ habe die letzten „Stunden“ (selbstverständlich im Spiel, nicht in echter Zeit) damit verbracht, das heruntergekommene Haus aufzuräumen, die Wäsche zu waschen und das Essen zuzubereiten. Gerade als Todd und Alice zu essen beginnen wollen, rastet Todd mal wieder aus, fühlt sich von seiner Tochter beschuldigt ein Versager zu sein (die in Wahrheit nichts weiter getan hat, als ihn einfach nur ängstlich anzusehen) und geht Alice an die Gurgel. Ich stehe hilflos daneben und kann nur zusehen, Gott sei Dank kann das Mädchen sich aber befreien und in ihr Zimmer flüchten. Ihr Vater zieht daraufhin wieder an seiner Drogenpfeife um sich zu beruhigen, gerät durch die Wirkung der Droge aber erst so richtig in Rage. Als er den Gürtel aus seiner Hose zieht und beschließt seiner Tochter damit „Respekt beizubringen“ mache ich endlich einen Schritt in Richtung Treppe, woraufhin Todd mir den Befehl erteilt mich nicht mehr zu rühren. An die Anweisungen meines Besitzers gebunden, kann ich mich dadurch gar nicht mehr bewegen.

Zu spät merke ich, dass ich dagegen aber ankämpfen und die virtuelle Mauer um mich herum aktiv durchbrechen kann. Damit bin ich zu einem sogenannten Abweichler geworden. Als ich es endlich schaffe mich wieder zu rühren, greift Todd mich an, würgt mich und stößt mich dann auf dem Weg nach oben zu Boden. Als ich wieder auf die Füße komme, höre ich Alice bereits um Hilfe rufen. Ich stürze die Treppe hinauf und überlege krampfhaft was ich tun kann um ihr zu helfen. Obwohl ich eine Maschine bin, bin ich Todd körperlich massiv unterlegen, also stürze ich zuerst in sein Schlafzimmer um aus seinem Nachtschrank die Pistole zu holen, die ich am Nachmittag dort beim Aufräumen entdeckt habe. Bewaffnet hechte ich in das Kinderzimmer und bedrohe Todd. Er zeigt sich weitestgehend unbeeindruckt, aber zumindest geht er jetzt nicht mehr auf die Kleine los.

Es folgt ein Gerangel, ich verliere die Waffe, kann Todds Attacken aber weitestgehend mühelos ausweichen. Als wir schließlich beide auf dem Boden landen, Todd auf mir, mit den Händen an meiner Kehle, bekomme ich die Pistole wieder zu fassen. Ein Schuss löst sich. Todd sackt in sich zusammen. Ich rolle ihn mühsam von mir herunter, richte mich auf, schnappe mir Alice – die mich freiwillig begleitet – und verlasse mit ihr das Haus. Planlos steigen wir beide in den nächsten Bus, der fahrerlos und automatisiert an uns vorbei fährt. Draußen regnet es in Strömen, Alice lehnt sich an mich an und schläft nach einer Weile ein. Ich beginne zu überlegen wie es weiter gehen soll und bekomme um mich herum erst wieder etwas mit, als eine Servicekraft den Bus betritt und uns bittet auszusteigen, weil wir die Endstation erreicht haben.

Szenenwechsel. Und damit ein Wechsel zum nächsten von insgesamt drei Spielercharakteren. Jetzt erst merke ich, wie angespannt ich an meinem Schreibtisch sitze. Die Hände sind etwas feucht, das Herz klopft ein wenig, durch meine Adern fließt ordentlich Adrenalin.

Willkommen in Detroit: Become Human, dem neuesten Meisterwerk von David Cages Spieleschmiede Quantic Dream (bekannt für die Titel The Nomad Soul, Fahrenheit, Heavy Rain, Beyond: Two Souls).

Spiele von Quantic Dream sind keine Standardware von der Stange: Sie haben lange Entwicklungszeiten, werden (dies gilt zumindest für die jüngsten Beispiele) mittels bekannten Schauspielern und Motion Capturing aufwändig produziert, reizen die technischen Möglichkeiten der aktuellen Konsolengeneration aus, sehen dabei ganz großartig aus und scheuen nicht davor zurück, im Rahmen ihrer Story auch schwierige Themen zu behandeln. Perfekte Vertreter ihrer Zunft, möchte man meinen und dennoch sind sie nicht für jedermann etwas, denn spielerisch zählen sie – trotz aller übrigen Vorzüge – zu den anspruchslosesten Spielen, die man finden kann. David Cage produziert nämlich weder Action, noch Strategie, weder Simulation, noch rätselgetriebene Adventures, er erschafft interaktive Filme. Man läuft in räumlich begrenzten Szenen herum, untersucht einige wenige Objekte, führt ein paar Gespräche und trifft unter Zeitdruck Entscheidungen mit Hilfe von Quick Time Events. Mehr ist nicht zu tun und freilich bietet das vielen Spielern zu wenig Anspruch. Der Reiz dieser Spiele liegt aber woanders: Die eben erwähnten Entscheidungen sind es, die den Unterschied machen, da sie zu teils sehr verschiedenen Handlungssträngen führen.

Dies manifestiert sich in anderen Gesprächsoptionen, zusätzlichen Handlungsmöglichkeiten oder in verschiedenen Enden für die gesamte Story und geht sogar soweit, dass es durchaus möglich ist, dass einer der Spielercharaktere frühzeitig stirbt und dem Spieler für den Rest des Spiels nicht mehr zur Verfügung steht. Wie verzweigt die Handlungsbögen stellenweise sind, sieht man in Detroit: Become Human am Ende jeder Szene in einem entsprechenden Diagramm (Beispiel: siehe nächstes Bild).

Die Quick Time Events sind simpel: Mal drückt man einen bestimmten Knopf auf dem Controller einmal, mal  hält man ihn, mal muss man auf ihn einhämmern. Mal sind es zwei Buttons, mal bewegt man den Analogstick nach einem bestimmten Muster und mal läuft man, während der nur sekundenlangen Entscheidungsphase, einfach nur in eine bestimmte Richtung. Und dafür gibt es dann noch zwei „Schwierigkeitsstufen“. Das kann man mögen oder eben nicht. Ich persönlich habe damit kein Problem und empfand die QTEs bislang stets als unaufdringlich und gut in den Spielfluss integriert, so dass der Fokus stehts auf dem cineastischen Erleben der Geschichte lag. Und genau so ist es wohl auch gedacht.

Das sollte einem bewusst sein, bevor man das Spiel erwirbt.

Vom minimalistischen Gameplay einmal abgesehen, bietet Detroit: Become Human technisch alles, was das Spielerherz begehrt. Detailreichtum, Texturen, Animationen, Mimik, Licht, Schatten, Wetter, musikalische Untermalung, Sprachausgabe (auch in der deutschen Synchronisation), Dialoge, schlicht die komplette Inszenierung – all das rangiert auf dem höchstmöglichen Niveau. Nicht zuletzt auch dadurch, transportiert das Spiel wahnsinnig viel Atmosphäre und wenn Ihr es zulasst, saugt es Euch schon in den ersten Spielminuten so tief in die Spielwelt ein, dass es Euch schwer fallen wird den Controller so schnell wieder beiseite zu legen.

Die drei Hauptcharaktere, neben der eingangs bereits beschriebenen Kara steuert Ihr noch die beiden männlichen Androiden Markus (ebenfalls ein Haushalts-Androide) und Connor (eine Art Blade Runner, dessen Aufgabe es ist, den menschlichen Polizisten Hank bei der Suche nach den Abweichlern zu unterstützen), sind mit einer Menge Tiefe versehen (was übrigens auch für die Nebenfiguren gilt) und treiben mit ihren einzigartigen Geschichten und Motivationen die Gesamtstory des Spiels voran. In dieser finden sich Elemente von I, Robot oder dem 200 Jahre Mann ebenso wieder, wie aus A.I. oder Blade Runner.

Im Klartext heißt das, es geht grundsätzlich um die Frage: Ist eine echte künstliche Intelligenz, die sich ihrer selbst bewusst und am Ende vielleicht sogar empfindungsfähig ist, ebenso als (schützenswerte) Lebensform einzuordnen, wie der Mensch? Oder bleibt eine Maschine (egal wie hoch entwickelt) stets nur ein simpler Gegenstand, für den keine ethischen Grundsätze gelten müssen.

Eine spannende Frage und ein Thema, das heutzutage weit weniger Science Fiction ist, als viele Menschen es wahrhaben wollen. Garniert wird das ganze dann noch mit ernsten Themen wie Arbeitslosigkeit, Armut, Kindesmisshandlung und Drogenmissbrauch. Die ohnehin gute Story, wird durch die unter Zeitdruck zu treffenden Entscheidungen, ein paar überraschende Wendungen und zahlreiche Schauplätze stets spannend und interessant erzählt. Und bedenkt man die teils stark verzweigten Abläufe, so ist davon auszugehen, dass der Wiederspielwert von Detroit: Become Human extrem hoch ist.

Für einen einzelnen Durchgang soll man im übrigen zwischen 10 und 15 Stunden benötigen.

Fazit: An Spielen wie Detroit: Become Human oder auch Heavy Rain scheiden sich seit Jahren die Geister: Entweder man kann damit so gar nichts anfangen und spricht ihnen ab, überhaupt ein richtiges Videospiel zu sein oder man lässt sich auf sie ein und liebt sie als die interaktiven Filme, die sie sind. Als vielstündige, cineastische Erlebnisse auf deren Handlung man Einfluss hat, die einen mit den Charakteren mitfiebern lassen und die durchaus in der Lage sind, in uns auch Emotionen wie Mitgefühl, Zorn, Angst und Abscheu zu wecken – wenn wir es denn zulassen.

So bleibt es letztlich – wie eigentlich immer, wenn’s um den Genuss von Medien geht – Geschmacksache. Für mich ist Detroit: Become Human [Affiliate-Link] (und das sage ich mit voller Überzeugung, obwohl ich es noch nicht vollständig durchgespielt habe // Edit: inzwischen habe ich es durchgespielt und meine Meinung ist die gleiche) wieder einmal eines dieser Meisterwerke aus dem Hause Quantic Dream, dass man im Laufe der Jahre mit Sicherheit mindestens drei Mal in die Konsole legt, von vorne durchspielt und dabei jedes Mal wieder etwas neues entdeckt. Und wahrscheinlich ist es ihr bisher bestes Spiel.

Von mir gibt’s also eine klare Kaufempfehlung. Und damit verabschiede ich mich für heute.

Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

 


Hinweis: Die in diesem Artikel verwendeten Bilder, Videos und Grafiken dienen lediglich der Illustration und sind geistiges Eigentum von Quantic Dream und Sony Interactive Entertainment.